Dresdner „Cousine“ hilft Pol*innen bei Abtreibungen
22. Oktober 2024 - 11:22 Uhr
Seit die rechte Partei PiS in Polen regiert hat, sind Schwangerschaftsabbrüche dort fast unmöglich. Mehrere Schwangere starben seitdem, weil Ärzt*innen aus Angst vor Kriminalisierung sogar medizinisch notwendige Abtreibungen nicht durchführen wollten. In Polen demonstrierten immer wieder Tausende gegen die rigide und mörderische Abtreibungspolitik. Auch seit die PiS nicht mehr regiert, ist das Gesetz nicht gelockert worden.
Doch haben sich in Europa in den letzten Jahren viele solidarische Gruppen gegründet, um ungewollt Schwangere aus Polen bei Abbrüchen im europäischen Ausland zu unterstützen, etwa in Prag, Leipzig, Berlin und Wien. Seit diesem Jahr gibt es eine solche Gruppe auch in Dresden, die „Kuzynka z Drezna“- Cousine aus Dresden.
Wie hilft „die Cousine“?
Die Gruppe will ungewollt Schwangeren aus Polen und polnisch sprechende Menschen in Deutschland dabei unterstützen, zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zu kommen. „Dabei kümmern wir uns um die Terminvereinbarung zum Beratungsgespräch und in der Arztpraxis, helfen bei der Anreise und bieten Übernachtungsmöglichkeiten an. Bei allen Terminen stellen wir außerdem ehrenamtliche Sprachmittlerinnen zur Verfügung. Wenn nötig, wollen wir auch finanziell unterstützen.“
Der Kontakt läuft über Email, berichtet Kuzynka. „Meist sind die Personen sehr verzweifelt und schreiben nur eine kurze Anfrage. Wir müssen dann erst mal ein paar Nachfragen stellen. In welcher Schwangerschaftswoche befindet sich die Person? Wo wohnt sie? Deutschland oder Polen? Ist sie vielleicht sogar in Deutschland krankenversichert? Hat sie Personen, die sie unterstützen können oder ist sie damit alleine? Wenn die Schwangerschaft noch in den ersten Wochen ist, empfehlen wir den medikamentösen Abbruch. Beispielsweise verschickt die Organisation Women on Waves aus den Niederlanden Abtreibungspillen nach Polen.“
Diese Pillen seien meist die einfachste und günstige Möglichkeit abzutreiben. Kommen sie dennoch nicht in Frage, organisieren die „Cousinen“ einen Beratungstermin und einen Abtreibungstermin hier in Dresden: „Wir besprechen mit der Person Fahrt und Übernachtung und stellen ihr Sprachmittler:innen für die Termine an die Seite. Das ist alles recht aufwendig und die Regelungen in Deutschland mit Zwangsberatung verkompliziert es nur noch mehr. Je nachdem wo die Person in Polen wohnt, kann es auch sinnvoll sein, sie zum Beispiel nach Tschechien zu verweisen, wo ein Schwangerschaftsabbruch unkomplizierter zu erhalten ist.“
Ciocia Basia (Berlin), Ciocia Wienja (Wien), Ciocia Szesia (Prag) – zu den feministischen „Tanten“ gesellt sich in Dresden nun eine Kuzynka – eine Cousine. „Da wir viel von der „Tante Barbara“/Ciocia Basia aus Berlin lernen durften und nur eine kleine Ortsgruppe sind, verstehen wir uns eher als Ableger, eben als Cousine“, erklärt die Gruppe. Doch die noch neue Gruppe habe bereits bei einigen Anfragen helfen können.
Was ist erlaubt?
Die taz berichtete kürzlich von zwei Brandenburger Frauenärzt:innen, die Pol:innen bei Abbrüchen unterstützen. Gegen sie werde von der Stettiner Staatsanwaltschaft ermittelt, bei einer Ärztin sei es zu mehreren Durchsuchungen ihrer zweiten Praxis in Polen gekommen.
Während die Unterstützung eines Schwangerschaftsabbruchs in Polen kriminalisiert ist, ist sie in Deutschland legal. Der Abbruch selbst ist hier nach Paragraph 218 weiterhin kriminalisiert, aber straffrei bis zur 12. Woche nach einem Beratungsgespräch. „Das heißt für uns, dass wir uns nur strafbar machen würden, wenn wir von Polen aus Schwangerschaftsabbrüche organisieren würden. Wenn also Personen von uns nach Polen reisen bzw. sich dort aufhalten, ist es wichtig, dass sie in dieser Zeit keine Aufgaben übernehmen.“
Kuzynka z Drezna fordert, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren: „Es geht um elementare Gesundheitsversorgung. Unsichere Schwangerschaftsabbrüche sind bis heute eine der Hauptursachen für Müttersterblichkeit. Ein medizinisch sicherer, unter legalen Bedingungen stattfindender Abbruch rettet also Leben. Weitere Punkte sind moderne, diverse sexuelle Bildung, flächendeckende und kostenfreie Bereitstellung von Verhütungsmitteln, freiwillige Beratung für Schwangere, eine Verankerung von Schwangerschaftsabbrüchen im Medizinstudium und eine flächendeckende Versorgung.“
Unterstützung benötigt
Dringend nötig ist gerade finanzielle Unterstützung: „Die Abbrüche in Deutschland kosten zwischen 350-700€ und müssen meist selbst finanziert werden, dazu kommen noch An- und Abreise und Übernachtungskosten. Die verpflichtende Beratung erhöht den Organisationsaufwand noch zusätzlich und verlängert den notwendigen Aufenthalt. Damit die Möglichkeit eines Abbruchs aber am Ende keine finanzielle Frage bleibt, würden wir die Personen auch gerne finanziell unterstützen, damit alle Menschen ihr Recht auf reproduktive Gerechtigkeit erhalten können.“ Deswegen hat die Gruppe eine Spendenkampagne gestartet.
Gesucht werden außerdem FLINTAs, die polnisch-deutsch dolmetschen können.
Die Lage in Polen
In Polen gelten seit der PIS-Regierung die strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Nur unter sehr strengen Bedingungen kann ein Abbruch erlaubt sein, etwa nach Vergewaltigung, bei Inzest oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Aber Ärzt:innen können Abbrüche auch aus „Gewissensgründen“ ablehnen. Und faktisch wurden auch medizinisch notwendige Schwangerschaftsabbrüche in den vergangen Jahren nicht durchgeführt. Mehrere Schwangere starben in der Folge. Nach dem Tod von Dorota demonstrierten Tausende unter dem Motto „Keine einzige mehr. Hört auf, uns zu töten!“. Die Ärzt:innen hatten medizinisch notwendige Abbrüche hinausgezögert, und damit das Leben der Betroffenen riskiert.
Bestraft wird in Polen nicht die Schwangere, sondern alle, die den Abbruch unterstützen. Das betrifft Ärzt*innen, kann aber auch Taxifahrer*innen oder Bekannte treffen, die die Fahrt zum Abbruch ermöglichen, oder Partner*innen, die Tabletten besorgen. Es droht eine Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren.
Inzwischen regiert in Polen die liberal-konservative Koalition von Ministerpräsident Tusk. Er versprach im Wahlkampf, das Abtreibungsrecht liberaler zu machen. Doch im Sommer scheiterte ein Gesetzentwurf auch an christlich-konservativen Stimmen des Dritten Weges, der Teil der Regierung ist. Dabei hatten besonders junge Frauen den Regierungswechsel durch ihre Wahl ermöglicht.
Auch die Kuzynka hat erwartet, „dass das Gesetz nach der Wahl schneller wieder gekippt wird. Das ist durch die Verankerung in der Verfassung aber schwieriger als gedacht. Wir hoffen aber noch, dass die feministischen Kämpfe weiterhin Einfluss auf die Politik in Polen haben werden. Unsere größte Hoffnung dabei ist, dass es Gruppen wie unsere eigentlich nicht mehr braucht, damit Menschen in Polen sicher abtreiben können.“
Podcast von pro choice Dresden
Anlässlich des „safe abortion day“ (Internationaler Tag für sichere Abtreibungen) am 28. September hat pro choice Dresden wieder eine Folge im Podcast „My body, my choice! Feature zu feministischen Kämpfen für reproduktive Gerechtigkeit weltweit“ produziert. In der nunmehr fünften Folge geht es um die Situation und die Kämpfe in Rumänien, Südkorea, Japan und Deutschland. Zu hören ist der Podcast über Freie Radios oder auf den Podcast-Kanälen der Kosmotique.
Lesenswert: Pro Choice Dresden in einem Artikel bei FR online
Veröffentlicht am 22. Oktober 2024 um 11:22 Uhr von Redaktion in Feminismus, News